
Die Karnevalssession 2019 liegt nun hinter uns. Eine lange Session. Eine Session mit Höhen und Tiefen. Gerade auch in der karnevalistischen Berichterstattung. Weniger bei uns, mehr bei den Kollegen. Aber auch in den Karnevalsgesellschaften selbst gibt es ein breites Umdenken. Ein Denkanstoß …
Das Problem mit dem Kartenverkauf
In Köln gibt es gefühlt 3.000 Karnevalsveranstaltungen in jeder Session. Da sind ja nicht nur die 120 Gesellschaften und Vereine, die dem Festkomitee Kölner Karneval angeschlossen sind. Es gibt auch noch hunderte Stammtische und Veedelsvereine, die ja auch alle ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Von den ganzen Pfarrsitzungen und Firmenveranstaltungen einmal abgesehen.
Gut, Köln ist eine Millionenstadt. Und die Jecken kommen ja nicht nur aus Köln zum Karneval, der Karneval zieht ja Menschen aus ganz Deutschland – ja, teilweise sogar aus ganz Europa – an. Trotzdem ist irgendwann der Drops gelutscht. Dann bleiben bei der ein oder anderen Gesellschaft die Säle halt leer. Was dann auch den Kollegen irgendwann mal auffällt.
Doch was machen die betreffenden Gesellschaften? Anstatt sich einmal umzuschauen, ob es nicht vielleicht eine Gesellschaft gibt, mit der man kooperieren könnte, wird einfach der Saal verkleinert und die Zahl der zu verkaufenden Karten drastisch reduziert. Hauptsache, man ist dann wieder „ausverkauft“!
Was manche Gesellschaften dabei außer Acht lassen, ist die Tatsache, dass man bei weniger Karten auch geringere Einnahmen hat. Und weniger Einnahmen ziehen ein vergleichsweise günstigeres Programm mit sich. Und wenn dann die Top-Redner und Top-Bands nicht mehr bei der Gesellschaft auftreten, fragen sich die Kartenkäufer, warum man weiterhin bis zu 50 € für eine Karte bezahlen soll, für die man woanders eben genau diese Top-Kräfte bekommt … also die berühmte Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt! Irgendwann ist dann ganz Schluss mit lustig!
Das Problem mit dem Programm
Ein weiteres Problem ist, dass es im Karneval eine überschaubare Künstlerschar gibt. Es gibt einige wenige Top-Redner, es gibt ein paar Top-Bands – deren Namen ziehen alleine schon die Jecken an. Dann gibt es eine Oberschicht, die auch schon eine größere Fanbase hinter sich versammeln konnten. Sowohl bei den Rednern, als auch bei den Bands. Stimmung ist da garantiert!
Natürlich gibt es auch eine programmtechnische Mittelschicht, sowohl auf Redner- als auch auf der Musikseite. Und ebenso gibt es Künstler, die krebsen am unteren Rand herum. Die machen ein paar Auftritte fürs Ego, größtenteils noch als Benefiz. Leben können die von ihrem Hobby aber nicht wirklich, während die Top- und Oberschicht-Kräfte einen Großteil ihres Jahresverdienstes in der Session abholen. Es sei ihnen gegönnt!
Neben den genannten gibt es noch „Nischenkräfte“, die sich nicht in eine der oben genannten Schubladen im Bereich Rede oder Musik stecken lassen – Liedermacher, Einzelkünstler, Showkünstler, Parodisten und so weiter.
Und selbstredend gibt es die Korpsgesellschaften und die zahlreichen Tanzgruppen, wobei es auch gerade bei den Tanzgruppen extrem viele Top-Kräfte gibt. Aber auch ein gutes Mittelmaß.
Jetzt hat der Literat oder Programmgestalter jedes Jahr das Problem, dass er aus dem Pool der vorhandenen Künstler das Sitzungsprogramm für seine Gesellschaft irgendwie zusammenbauen muss. Wenn es nach dem Vorstand geht, dann bitte nur Top-Kräfte – aber das kann dann keiner mehr bezahlen! Also muss eine gute Mischung her. Und bei der Menge an Veranstaltungen (siehe oben) ist es für den Programmgestalter bzw. Literaten auch oft ein Problem, den Künstler X für den Termin Y zu bekommen – weil die Gesellschaft A aus dem Veedel nebenan vielleicht schneller war. Oder weil der Künstler eben genau auf diesem Sitzungsformat, egal ob Herren-, Gala- oder was auch immer Sitzung nicht auftreten möchte.
Und am Montag ist ja sowieso frei und keiner zu bekommen! (Warum eigentlich? Ja, ist klar … Tradition!)
Das Problem mit dem Nachwuchs
Ein weiteres Problem ist der Nachwuchs in den Gesellschaften. Einige Karnevalsgesellschaften haben dieses Problem für sich gelöst und Jugendabteilungen in ihren Vereinen installiert. Da sammeln sich dann die jungen Leute bis Mitte 30, Anfang 40 und feiern ihre Art des Karnevals. Oder man bringt „die Alten“ dazu, ein Veranstaltungsformat zu etablieren, welches die jungen Karnevalisten von 18 bis Ende 30 auch wirklich begeistert.
Doch die wenigsten Gesellschaften – auch die, die eine Jugendorganisation gegründet haben – schauen danach, was die Jugend heute wirklich will! Auf einer Jugendveranstaltung treten dann die Kräfte auf, die man auch auf den Sitzungen sehen kann – okay, die Redner weniger. Die möchte da von der Jugend sowieso keiner hören – meint man. Dafür kommen dann jede Menge Bands, die man das ganze Jahr über auch in den Konzertsälen hören und sehen kann. Und dies dann meistens für weniger Geld und viel länger, übrigens!
Die Künstler, die den Jugendlichen vielleicht interessiert, die möchte man aber nicht auf die Bühne holen. Weil die ja nichts mit Karneval zu tun haben und lieber im Winter beim Aprés Ski oder im Sommer auf Mallorca auftreten! Wenn dann aber in der Session ein Veranstalter eben genau so eine Veranstaltung durchführt, ist die Hütte jedes Mal rappelvoll! Mit junge Leuten!
Und, das wir uns da nicht falsch verstehen: Es geht nicht darum, den Jugendlichen eine Aprés Ski-Mallorca-Dauerbeschallung zu bieten! Bei zehn Bands auf einer Jugendveranstaltung ersetzt man zwei (!) Auftritte durch Künstler der sogenannten „Party-Schlager-Szene“. Die haben dann aber das Potential, wieder junge Leute anzuziehen, die bislang rein gar nichts mit Karneval am Hut hatten. Und, wer weiß – vielleicht finden die ja dann sogar ihren Spaß daran und schauen ein Jahr später sich einmal eine traditionelle Sitzung an! Mit Korps, Redner und Tanzgruppen!
Ach ja, das Thema Tradition …
Um es vorweg zu schreiben: Klar, der Kölner Karneval ist eine traditionsreiche Veranstaltung. Seit 1823, bla bla blubb!
Seitdem hat sich der Kölner Karneval aber weiterentwickelt. Es kamen immer neue Gesellschaften, neue Sitzungen, neue Formate, neue Künstler! Der Karneval muss sich auch erneuern, die Karnevalisten von 1823 kaufen heute garantiert keine Karten mehr! Und auch die Künstler von damals, die sicherlich in ihrer Zeit gut waren, sind heute nicht mehr wirklich aktiv.
Das eine Erneuerung zur Tradition werden kann, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch das ein oder andere Mal gezeigt. Man denke nur an die Bläck Fööss, die damals von den Literaten gemieden wurden, weil sie barfuß auftraten und „rockige“ Töne spielten. Heute gelten die Fööss als die „Mutter als Karnevalsbands“ und sind mit weit über 500 Liedern ein Teil der kölschen Tradition.
Was war der Aufschrei groß, als BRINGS zu Beginn ihrer karnevalistischen Karriere (als Rockmusiker war man ja bereits mehr oder weniger erfolgreich …) mit Liedern wie „Poppe, Kaate, Danze“ den Mief aus den ersten zehn Reihen pusteten – und den Passus über den „Schnee im August“ bei der „Superjeile Zick“ singen heute alle Jecken lauthals mit, wenn die Jungs auf der Bühne stehen!
Es gab immer Künstler auf den Bühnen des Karnevals, die aneckten. Künstler, denen man die Tradition absprach – egal ob die Horst Muys, Johnny Buchhardt oder wie auch immer hießen! Ein paar Jahre später waren diese Künstler dann Tradition! (Übrigens: Auch ein Muys und Buchhardt waren damals „Comedians“ und das ganze Jahr auf den Bühnen unterwegs. Aber solche Comedians will man ja heute nicht mehr auf der Karnevalsbühne haben, weil die den Rednern ja die Butter vom Brot klauen würden!)
Die Künstler ändern sich, das Publikum ändert sich – doch die Einstellungen einiger Karnevalsverantwortlicher ändern sich nicht wirklich! Gerade auch in den Gesellschaften, die wirklich Probleme haben! Es aber vielleicht nicht merken (wollen).
Ich erinnere mich da immer an eine Besprechung mit einem Gesellschaftsvorstand vor ein paar Jahren zurück, dessen Gesellschaft damals Probleme hatte und auch heute noch hat – nachdem man dann diesem Vorstand in mühevoller Kleinarbeit erklärt hatte, wie man die Jugend für die Gesellschaft begeistern könnte und wie man den Kartenvorverkauf ankurbeln könnte … kam nach fast zwei Stunden der bei mir mittlerweile im Gehirn fest eingebrannte Satz: „Ach jo … nee … wir machen das seit neunzehnhunderthaumichtod so, warum sollten wir das nun ändern? Damit machen wir unsere Tradition kaputt!“ Tja, und heute sieht es so aus, als wenn die Gesellschaft bald selbst kaputt ist!
Bei einer anderen Gesellschaft, die heute bereits nicht mehr existiert, hatten wir ein fertiges Konzept vorgestellt. Drei Tage große Sause, im Festzelt. Sogar inklusive Finanzierung durch Sponsoren! Es gab eine restliche Deckungslücke im sehr niedrigen vierstelligen Euro-Bereich – das Risiko war dann dem Präsidenten der Gesellschaft, der 20 Minuten vorher noch getönt hatte, dass er gerne in ein paar Jahren das Kölner Dreigestirn mit seiner Gesellschaft stellen wollte, leider zu hoch. Abgelehnt, auch wegen der Tradition der Gesellschaft! Doch diese traditionsreiche Gesellschaft ist nun Geschichte …
Die Tradition im Kölner Karneval ist wichtig und richtig. Es muss traditionelle Veranstaltungen geben. Punkt. Man muss sich aber auch für Neues öffnen! Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Warum haben Flüster- oder Nostalgie-Sitzungen so einen Erfolg? Weil viele Leute diesen alten, traditionellen Karneval lieben. Auch junge Leute! Warum hat ein Redner-Herren-Frühschoppen in der vergangenen Session fast 250 jecke Männer begeistert? Und warum ist diese Veranstaltung in der nächsten Session heute fast schon komplett ausverkauft? Weil es den Leuten das gibt, was sie haben wollen! Ist das traditioneller Karneval? Aber sicher!
Warum haben die Zeltsitzungen in Köln – egal ob auf dem Neumarkt oder in Sürth, Weiß oder sonst wo – einen enormen Zulauf? Weil es traditionellen Karneval zu volkstümlichen Preisen gibt! Da kann man locker für etwas über 100 € mit zwei Personen noch Karneval feiern. Mit Essen und Getränken! In den großen Kölner Sälen gibt es dafür mal gerade zwei Eintrittskarten und zwei Kölsch an der Theke!
Warum sind die wenigen Jugendveranstaltungen in Köln, die von den großen Gesellschaften veranstaltet werden, so schnell ausverkauft? Egal ob in Brück, Dünnwald, Mülheim oder bei der blu|white der Blauen Funken im Bootshaus Cologne – die Hütte brennt, die Jugendlichen feiern! Zu ihrer Musik! Und ja, auch zu Karnevalsmusik der bekannten Bands!
Der Kölner Karneval ist eine traditionelle Veranstaltung. Seit 1823. Und sogar noch viel früher! Aber er hat sich immer wieder erneuert. Das, was wir heute traditionell nennen, wäre vor 50, 60 Jahren noch Anarchie gewesen. Und das, was in 20, 30 Jahren traditionell ist, bezeichnen wir heute vielleicht als anarchisch!
Denken Sie mal drüber nach.
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